Ich bin ein Mädchen vom Land. Unser Räum- und Streudienst ist der Bauer aus dem Nachbardorf mit seinem Traktor. Klingt in etwa so zuverlässig, wie es tatsächlich ist.
An einem Flughafen würde damit nicht nur – wie bei uns – der Verkehr auf dem Boden, sondern auch der in der Luft komplett zusammenbrechen.
Für ein schneefreies Flugfeld müssen viele Mitarbeiter auf Abruf bereit stehen, egal ob frühmorgens, spätabends oder mitten in der Nacht. Ihre Arbeitszeit besteht dabei zum großen Teil aus Warten. Stimmt die Wettervorhersage? Kommt Schnee? Oft stimmt sie nicht. Das Wetter lässt sich eben nicht genau planen.
Deshalb stehe ich mit diversen Journalisten auf einem ehemaligen Fliegerhorst in der Nähe von Bad Sobernheim, Rheinland-Pfalz. Am Horizont sehen wir neben dem Ende der Start- und Landebahn die heutigen Hauptdarsteller stehen: vier knallig orangene Mercedes-Benz Arocs, jeder ausgestattet mit einem Schneepflug vorne am Fahrzeug und einem Kehr-Blas-Gerät als Sattelauflieger. Sie gehören zum Projekt „Automated Airfield Ground Maintenance“ (AAGM), für das sich die Daimler-Innovationsschmiede Lab1886, Daimler Trucks und die Fraport AG zusammen getan haben.
Wir sind hier, um die Fahrzeuge beim Schneeräumen zu sehen. Zwar ohne Schnee, aber um den geht es ja auch weniger – sondern um automatisiertes Fahren im ferngesteuerten Verbund. Auf Flugplätzen müssen die Bahnen für den Räumdienst vollständig gesperrt werden, der Flugverkehr pausiert währenddessen. Gleichzeitig heißt das, dass keine Hindernisse auftreten können, nichts, was unerwartet aus dem Weg geräumt werden muss – außer Schnee und Eis. Perfekte Voraussetzungen für automatisiertes Fahren.
Woher weiß der, wo er hin muss?
Beim Arocs ganz rechts in der Reihe springen die Lichter an und er setzt sich in Bewegung. Nacheinander starten die Lkw und fahren eine Kurve, bis sie hintereinander parallel zur Flugzeugbahn stehen, mit schön gleichem Abstand zueinander. Sind alle da? Dann kann’s ja losgehen!
Wie sich das Lenkrad so ganz ohne Fahrer dreht, finde ich schon ein bisschen „spooky“. Echt faszinierend, was mit moderner Technik möglich ist. Wie das funktioniert, habe ich bei Christian Ballarin aus der Daimler Trucks Vorentwicklung nachgefragt.
Das Herzstück ist das „Remote Truck Interface“ (RTI). Es ist in jeder Fahrerkabine verbaut und die Schnittstelle, mit der die Fahrzeugfunktionen der Lkw fernbedient und Daten ausgetauscht werden können. Motor anlassen, lenken, schalten, bremsen – das alles ist beispielsweise über das RTI möglich.

Etwas „spooky“: Dank Remote Truck Interface fährt jeder der vier Arocs genau auf seiner Spur – obwohl in drei Fahrzeugen gar keiner drin sitzt
Beim automatisierten Schneeräumen läuft das Ganze so ab: Der Konvoi-Führer sucht sich ein Leitfahrzeug aus. Aus diesem heraus überwacht er alle Lkw im Verbund. Es braucht also nur einen Menschen, um alle Fahrzeuge gleichzeitig zu bedienen. Aber woher wissen die Arocs, wo sie fahren sollen? Ganz einfach: Die Strecke wird kartographiert und künstlich zusammengesetzt. So kann jeder Lkw seiner individuell programmierten Bahn folgen.
Der Clou bei der Sache ist: Die Fahrzeuge werden präzise über Differential GPS geortet und halten sich genau an die vordefinierten Strecken, sodass sie lediglich maximal drei Zentimeter abweichen. Der „Aufpasser“ im ersten Fahrzeug könnte jederzeit aber auch manuell eingreifen. Ändert er zum Beispiel leicht die Spur des Leitfahrzeugs, passen sich die Folgenden an. Unabhängig von Wind und Wetter, egal ob hell oder dunkel, die Fahrzeuge sind immer einsatzbereit.
Bitte einsteigen!
Die erste Fahrt beobachten wir noch aus dem Bus heraus, anschließend darf jeder von uns selbst in einen Arocs einsteigen und mitfahren. So schauen wir nicht nur von außen zu, sondern sehen auch, was direkt im Fahrzeug passiert.
Versetzt und hintereinander fahrend, fächern sich die mit Auflieger 23 Meter langen Lkw auf. Der Schneepflug fährt automatisch aus und räumt auf einer Breite von acht Metern. In der Testphase sehen wir „nur“ vier Fahrzeuge, das Ganze ist aber ausbaubar auf bis zu 14 Einheiten. Für mich ist das schwer vorstellbar. 14 Fahrzeuge, die schön gleichmäßig hintereinander Schnee schieben sollen? Technisch absolut möglich und machbar. Am Frankfurter Flughafen beispielsweise sind die Bahnen bis zu 70 Meter breit. Eine große Fläche, die es in einer Fahrt zu räumen gilt.
Die nächsten Schritte sind jetzt, das Projekt weiterzuentwickeln und Erfahrungen zu sammeln. Das Projektteam bleibt dran und ich bin gespannt, wann der erste Schnee auf einem Flughafen automatisiert geräumt wird.
Der Beitrag Schnee ade: Freie Bahn auf Knopfdruck erschien zuerst auf Daimler-Blog.