„Der größte Sicherheitsfaktor ist der Fahrer“. Diesen Satz von meinem Vater habe ich immer noch im Ohr. Und einige Erinnerungen: Wie lustig das war, ohne Anschnallgurt auf der Kunstlederrücksitzbank von „rechts oben“ nach „links unten“ zu rutschen, derweil mein Vater bei der Landstraßen-Kurve den perfekten Scheitelpunkt suchte.
Ein ganz ähnliches Gefühl stellt sich gerade jetzt ein, als ich Bus fahre: Es ist ein beinahe zuglanger Mercedes-Benz Gelenkbus mit vier Achsen, der in hohem Tempo und unter massivem Reifengummi-Einsatz durch einen Pylonen-Kurs fetzt. Und dabei wie auf Schienen in der Spur bleibt.
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Journalisten-Kollegen, haltet eure Haarteile fest, ihr seid beim „Safety Campus“ von Daimler Trucks! Und damit gibt sie es schon, die (sinnvolle) Nutzung des Flughafens Schönefeld. Für zwei Tage sind Hangars und Startbahn der Öde entrissen und Teststrecke für die allerneuesten Sicherheits- und Assistenzsysteme bei Vans, Bussen und Trucks. Es ist ein Großeinsatz der Technik.
Wofür? Daimler hat sich der Vision „vom unfallfreien Fahren“ verschrieben. Da könnte jetzt gleich der ehrenwerte Helmut Schmidt um die Ecke biegen, paffen und meinen, „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ Aber Daimler beschäftigt sich mit der Unfallforschung mindestens schon genauso lange, wie Schmidt Interviews gibt. (Gefühlte) 100 Jahre…
Sicher ist sicher
Sicher ist: Die Käufer von Pkw,Vans und Lkw wollen heute eine hohe aktive (und passive) Sicherheit ihrer Fahrzeuge. Und die ist nicht nur für sie selbst von Nutzen. Sondern gerade eben auch für andere Verkehrsteilnehmer. Ein Kurierdienst legt zum Beispiel pro Jahr etwa 150.000 km mit seinem Fahrzeug zurück. Ist es da nicht besser, wenn der Transporter keine 100 Meter Bremsweg hat, nicht schon bei „Fußgängergeschwindigkeiten“ ausbricht und bei Seitenwind auf der Autobahn nicht spontan die Spur wechselt? Dann reden wir hier über den Einsatz von Bremsassistent, ESP, Seitenwindassistent.
Fahrer, Verkehr und Fehler
Generell summieren sich Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren und Anfahren zur Unfallursache Nummer eins in Deutschland. An zweiter Stelle steht Abkommen von der Fahrbahn vor zu geringem Abstand und überhöhter Geschwindigkeit.
Folgende Assistenzsysteme wurden beim Safety Campus gezeigt:
Die Mirror Cam
„Elefantenohren“ (große Außenspiegel) könnten bald der Vergangenheit angehören: Daimler arbeitet an der „Mirror Cam“. Rechts und links in der Fahrerkabine angebrachte Monitore in Verbindung mit Außenkameras verbessern die Sicht für den Fahrer deutlich. Außerdem sinkt durch die Mirror Cams natürlich der Kraftstoffverbrauch, weil Außenspiegel einen wesentlich höheren Luftwiderstand besitzen. Rennen indische Elefanten eigentlich schneller als afrikanische bei weniger Blätter-Verbrauch?
Der Abbiegeassistent
Zur Mirror Cam passt der Abbiegeassistent, den Daimler Trucks in absehbarer Zeit als weltweit erster Hersteller in Serie bringen wird. Dieses System schützt Verkehrsteilnehmer vor einem der schrecklichsten Unfälle überhaupt: Ein Lkw-Fahrer will rechts abbiegen, übersieht an der Ampel den Radfahrer, der neben ihm fährt. Verflixter „toter Winkel“! Der Abbiegeassistent warnt den Fahrer intensiv: Befindet sich ein Objekt in der rechten seitlichen Überwachungszone, wird der Fahrer über eine gelb aufleuchtende LED in Dreiecksform in der A-Säule auf der Beifahrerseite informiert. Bei Kollisionsgefahr blinkt die LED-Leuchte rot und es ertönt ein Warnton.
Nach Expertenschätzungen kann ein solches System die Hälfte aller Lkw-Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern verhindern.
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Der Notbremsassistent
Wenn es darum geht, zu erkennen, ob sich der Fahrer gefährlich schnell z.B. einem Stauende nähert, dann kommt der Notbremsassistent „AEBS“ (Advanced Emergency Braking System) ins Spiel. Mehr als die Hälfte aller Auffahrunfälle mit schweren Nutzfahrzeugen lassen sich so vermeiden. Das AEBS erfasst über Radar vorausfahrende wie stehende Fahrzeuge und ermittelt fortlaufend die Differenzgeschwindigkeit zum eigenen Fahrzeug. Hält das Fahrzeug unvermindert auf das Hindernis zu und scheint deshalb eine Kollision unvermeidbar, wird der Fahrer zunächst durch einen Ton gewarnt und der Truck nimmt automatisch eine erste Teilbremsung vor (auch um das Fading der Bremsen zu vermeiden). Reagiert der Fahrer immer noch nicht und droht der Aufprall, nimmt das Fahrzeug automatisch eine Vollbremsung vor.
Nikon trifft Nase. Auch hier kann ich mitfahren: der Fahrer warnt noch den Fotografen neben mir, dass durch die anstehende Vollbremsung die Kamera ihm möglicherweise eine verpassen wird („Rückschlag auf die Nase“) und dann halten wir auf der Startbahn mit 80 Sachen und 32 Tonnen auf die geparkte C-Klasse zu. Der Bauch meldet nur noch „oh-oh, das wird nix mehr“ und dann wirft das AEBS den Anker: Reifen jaulen, es riecht nach Bremstaub, die gefederte Fahrerkabine des Actros Sattelzugs bockt erst nach unten und dann himmelwärts. Wir stehen sichere 10 Meter vor dem geparkten Auto. „Aua“ sagt der Fotograf. Nikon trifft Nase.
AEBS ist bereits jetzt leistungsfähiger, als es der Gesetzgeber in drei Jahren vorschreibt. Noch leistungsstärker ist der Active Brake Assist 3 (ABA 3). Reduziert AEBS in einer Gefahrensituation die Geschwindigkeit drastisch, so bremst ABA 3 das Fahrzeug bei stehenden Hindernissen durch eine Vollbremsung bis zum Stand ab. In einer nächsten Stufe wird der Notbremsassistent auch Fußgänger und Radfahrer erkennen können.
Halten Sie Abstand oder die Kunst von „ART“
Der Abstandsregeltempomat ART ist Voraussetzung für den Active Brake Assist 3. Er hilft dem Trucker auf Fernstraßen und Autobahnen. Denn erkennt der ART ein langsameres Fahrzeug vor sich, verzögert das System automatisch, bis ein vom Fahrer vorgewählter geschwindigkeitsabhängiger Sicherheitsabstand erreicht ist. Zu diesem Zweck tastet ein Radarsensor fortlaufend die Fahrbahn vor dem Fahrzeug ab. Er misst Abstand und Relativgeschwindigkeit vorausfahrender Fahrzeuge und registriert ebenfalls eventuelle Hindernisse. Fährt kein Fahrzeug voraus, arbeitet der ART wie ein Tempomat.
Die Spur der (Rand)-Steine
Weiterentwicklungen kommen von Daimler für Pkw, Transporter und Lkw auch beim Spurhalteassistenten. Heute schon warnt er optisch und akustisch, wenn der Lkw von der Fahrbahn abzukommen droht. Im nächsten Schritt soll das System sogar aktiv die Spur halten und gegenlenken, wenn es gefährlich wird.
Der Knick im Bus
Um die extralangen Gelenkbusse, wie den Mercedes-Benz CapaCity L auch in schwierigen Situationen beherrschbar zu halten, wurde eine Knickwinkelsteuerung entwickelt, die ähnlich wirkt wie ein elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP) und die es nur in Mercedes-Benz-Bussen gibt. Mein Eindruck von der Testfahrt: Siehe oben!
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Und dann habe ich noch die Gelegenheit, drei Daimler Entwicklungchefs (Prof. Dr. Jörg Zürn, Sven Ennerst und Gustav Tuschen) zu interviewen. Sie erklären darin die neuesten Sicherheitsinnovationen ihrer Bereiche Vans, Trucks und Buses.
Hier gehts zu den Video-Interviews:
Safety @ Vans
Safety @ Trucks
Safety @ Buses
Der Zwischenschritt zum autonomen Fahren
Die neuen Assistenz- und Sicherheitssysteme sollen die Zahl der Unfälle verringern. Aber der Durchbruch in Richtung unfallfreies Fahren wird nach Überzeugung der Daimler-Ingenieure durch ihre intelligente Kombination stattfinden.
Wenn wir alle Sensorsysteme eines Lkws für Längs- und Quer-Dynamik kombinieren, steigern wir die Sicherheit unserer Fahrzeuge noch einmal erheblich – denn dann wird autonomes Fahren möglich,
so Dr. Wolfgang Bernhard, Chef bei Daimler Trucks. „Lkw sind dafür prädestiniert: Pkw legen im Schnitt pro Jahr knapp 12.000 Kilometer zurück – bei Lkw im Fernverkehr sind es 130.000 Kilometer, auf oftmals monotonen Strecken.“
Im Juli 2014 hatte der mit dem intelligenten Highway Pilot System ausgerüstete Mercedes-Benz Future Truck 2025 auf einem Autobahnteilabschnitt bei Magdeburg seine autonome Jungfernfahrt absolviert.
Im Mai 2015 erhielt Daimler im US-Bundesstaat Nevada die weltweit erste Straßenzulassung für den ebenfalls mit dem Highway Pilot ausgestatteten Freightliner Inspiration Truck. Hier in Schönefeld zählt eine Mitfahrt im autonomen Future Truck 2025 natürlich auch zu den Hauptattraktionen.
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Autonomes Fahren: Politik gefordert
Auf dem Weg zur Markteinführung dieser Technologie ist das Testen auf öffentlichen Straßen unabdingbar. Daimler Trucks wird deshalb schon demnächst die Erprobung auf deutschen Straßen starten.
Unser Antrieb ist die Vision vom unfallfreien Fahren. Deshalb entwickeln wir kontinuierlich neue Sicherheitssysteme und bringen diese in den Markt. Wie schnell wir sie einsetzen können, hängt dabei auch maßgeblich davon ab, wie zügig der notwendige rechtliche Rahmen geschaffen wird. Hier ist die Politik gefordert,
so Bernhard.
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Campus Efficiency
Tag zwei der Campus-Veranstaltung: „Campus Efficiency“ wartet nicht mit vielen Fahrzeugen, sondern „nur“ mit einem Motor auf. Der ist für die 300 anwesenden Fachjournalisten aber Attraktion genug. Denn die neueste Generation des Schwer-Lkw-Motors OM 471 ist schon ein Meisterstück (Schwabenstreich) der Ingenieure.
Der Motor spart im Vergleich zu seinem Vorgänger drei Prozent Kraftstoff, reduziert die Betriebskosten und senkt die CO2-Emissionen. Der OM 471 ist Teil einer Plattform für schwere Lkw Motoren von Daimler Trucks. Er erfüllt sowohl die strengen Abgasnormen in Europa, Nordamerika als auch in Japan. Denn die Aggregate arbeiten sowohl in den Schwer-Lkw von Mercedes-Benz als auch in den Trucks von Freightliner und Western Star in Nordamerika sowie von FUSO in Asien.
Die Effizienzfortschritte der neuen Generation OM 471 ergeben sich aus Verbesserungen der Kraftstoffeinspritzung, einer höheren Verdichtung, einem neuen Abgasturbolader sowie einer reduzierten Rate der Abgasrückführung. Heißt: Bei einem durchschnittlichen Einsatzprofil mit einer Laufleistung von etwa 130 000 km im Jahr verbraucht ein Mercedes-Benz Actros mit dem neuen Motor im Jahr etwa 1100 Liter Diesel weniger und stößt etwa drei Tonnen weniger CO2 aus.
„One man, one (big) engine”
Ich treffe den Mann, der mit seinem Team die Entwicklung des Motors vorangetrieben hat: Dr. Andreas Gorbach, leitender Ingenieur bei Daimler Trucks. Was ist sein persönlicher Antrieb?
Bei mir entstand die Begeisterung für Trucks und insbesondere Motoren, als ich begriff, welch großen Einfluss das Thema Transport auf die Veränderung der Welt und damit der Umwelt hat und wie viel positive Veränderung wir mit einem modernen, verbrauchs- und abgasarmen Aggregat bewirken können,
sagt Gorbach. Worauf ist er besonders stolz? „Ich habe zwei Lieblingsdetails am neuen OM 471: Die Eigenentwicklung des Turboladers und natürlich die „versetzte AGR-Klappe.“ „Versetzte AGR-Klappe“. Ich nicke wissend und habe gerade keine Ahnung.
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Aber für mich und Sie recherchiert: „AGR“ steht für Abgasrückführung. Die Rückführung von sauerstoffarmem und kohlendioxidhaltigem Abgas verdrängt die Frischluft im Ansaugrohr und senkt den Sauerstoffanteil, wodurch die Verbrennungsgeschwindigkeit abnimmt. Das Abgas nimmt über das CO2 mehr Wärme auf als die Frischluft. Das senkt die wiederum Verbrennungstemperatur. Verbrennungstemperatur und damit die Abgastemperatur sinken in Folge von den üblichen 700°C bis auf 400°C. Durch die Absenkung der Verbrennungstemperatur entsteht ein großer Teil der Stickoxide erst gar nicht mehr. Also weniger CO2 durch Rückführung eines Teils der Abgase. Genial!
Andreas Gorbach ist sichtlich stolz auf seinen monolithischen Alleskönner, verweist aber bescheiden auf sein Team: „Die Mitarbeiter sind bei der Entwicklung des neuen Motors viele Extrameilen gegangen, der neue OM 471 steht für eine Super-Teamleistung.“
Das Herzblut für das Produkt ist das Entscheidende.
Und dieses Herzblut kann ich an den zwei Campus-Tagen trotz 40 Grad Hitze bei allen Campus-Daimler-Schaffenden feststellen. Während zum Ende des Events die Fahrzeuge bei abgestellten Motoren leise knistern, sind die Journalisten einfach platt. So oder so….