Chassisentwicklung bei Daimler-Trucks. In diesen Bereich gehören viele Baugruppen. Der Rahmen, die Kühlung, die Achsen, die Luft- und Stahlfedern, die Tanks, die Luftansaugung und die Lenkung, um die wichtigsten zu nennen. Aber was wäre das Chassis ohne die Räder und Reifen?
Der Truck könnte gar nicht fahren und im Gegensatz zum Pkw hat ein Truck mindestens 6 Reifen. Auf der Hinterachse wird in der Regel ein Zwillingsreifen gefahren. Als Leiter dieses Bereichs möchte ich hier einen kleinen Einblick geben.
Reifen von 17,5“ bis 22,5“
Was stellt man sich gemeinläufig unter einem LKW-Reifen vor? „Groß, rund und schwarz“. Das passt schon auf den ersten Ansatz, aber am Ende steckt mehr dahinter. Der Reifen ist das Schuhwerk des Autos. Ohne den Reifen kommt keine Kraft auf die Straße und damit nicht genug: Für jeden Einsatzfall gibt es spezielle Reifen. Gemeint sind damit nicht nur die üblichen Unterscheidungen zwischen Sommer- und Winterreifen.
Man unterscheidet für LKW drei gängige Reifengrößen. 17,5“ und 19,5“ Reifen für das Medium Duty Segment, also z. B. den Atego, sowie 22,5“ Reifen für das Heavy Duty Segment, also z.B. Actros und Antos.
Lenkreifen und Traktionsreifen
Bei einem LKW unterscheidet man generell zwischen Lenkreifen auf der Vorderachse und Traktionsreifen auf der Hinterachse. Selbst für Trailer gibt es eigene Reifen. Auf der Lenkachse wird ein spezielles Profil verwendet, welches sich im Gegensatz zu einem Traktionsprofil auf der Hinterachse deutlich unterscheidet. Am Ende gibt es diese sowohl für Sommerreifen wie auch für Winterreifen.





Baustellen- und Allradfahrzeuge
Eine besondere Rolle nehmen noch die Baustellen- und die Allradfahrzeuge ein. Für Baustellenfahrzeuge gibt es spezielle Baustellenreifen mit eigenem Profil. Bei den Allradfahrzeugen werden alle Achsen mit einem einheitlichen Profil (Traktionsprofil) ausgestattet.
Das richtige „Schuhwerk“ für jeden Anlass
Somit ergibt sich eine deutlich höhere Varianz als im PKW-Bereich. Für Daimler-Trucks in Europa haben wir aktuell über 600 verschieden Reifen freigegeben. Kurz gesagt, Sie ziehen ja auch nicht immer die gleichen Schuhe an. Je nach Wetter und Anlass nehmen Sie das passende Paar Schuhe aus dem Schrank. Der LKW ist da nicht anders. Er will auch die richtigen Schuhe anhaben.
Heutzutage spielt die richtige Bereifung für den LKW eine mehr und mehr wichtige Rolle. Der Spediteur kann viel falsch machen, wenn er den falschen Reifen aufzieht. Jede Transportaufgabe braucht eine optimale Fahrzeugkonfiguration, damit am Ende auch Geld verdient wird. Ein LKW ist ein Investitionsgut und damit nicht nur zum Spaß da, auch wenn das LKW-Fahren riesig Spaß macht.





Wie kann der Spediteur aber genau herausfinden, welcher Reifen am besten passt? Klar, er fragt seinen Reifenhändler, aber der kennt ja nicht das gesamte Fahrzeug. Jetzt kommen wir Chassisentwickler ins Spiel. Wir haben in der Chassisentwicklung ein Team von Spezialisten, die sich nur mit Reifen beschäftigen. Durch umfangreiche Reifentests und Messungen entsteht bei uns eine neutrale Datenbank über alle Reifenfabrikate, aus der heraus wir Empfehlungen abgeben können.
Insbesondere für den Fernverkehr spielt der Rollwiderstand eine bedeutende Rolle. Er wirkt unmittelbar auf den Kraftstoffverbrauch und damit auf die Wirtschaftlichkeit des LKW. Auch beim Rollwiderstand hat sich in den letzten Jahren viel getan.
Rollwiderstand wichtiger als Luftwiderstand
Betrachtet man die Verlustleistungen eines LKW, so spielt der Rollwiderstand mit ca. 15 % Anteil an der Gesamtbilanz eine bedeutende Rolle. Die Grafik zeigt eine Übersicht der Verlustleistungen. An Nr. 1 stehen die motorseitigen thermodynamischen Verluste. Dann kommt schon an Nr. 2 der Rollwiderstand des Reifens und erst an dritter Stelle der Luftwiderstand.
Der Reifen-Mess-LKW
Es liegt also nahe, dass wir uns in der Entwicklung intensiv mit diesem Thema beschäftigen. Dazu nutzen wir ein spezielles Messfahrzeug, mit dem wir den Rollwiderstand sehr exakt messen können. Dieser Reifen-Mess-LKW ist aktuell der Modernste in Europa und er gibt uns die Möglichkeit, die Angaben der Reifenhersteller unter Fahrzeugbedingungen zu überprüfen. Diese Möglichkeit hat nicht jeder Fahrzeughersteller. Wir haben sie und setzen das Fahrzeug dafür intensiv ein.
Der Reifen-Mess-LKW hat 4 angetriebene Achsen. Zusätzlich haben wir hinten eine spezielle Messachse eingebaut, auf die wir alle gängigen Reifengrößen montieren können. Diese Meßachse ist Hightech pur. Sie kann die unterschiedlichsten Radlasten simulieren und wir können auch sämtliche Sturz- und Spurwinkel einstellen.
Durch eine aufwändige Sensorik in der Messnabe kann nun der Rollwiderstand gemessen werden und das auch auf unterschiedlichen Fahrbahnbelägen. Das führt zu exakteren Ergebnissen als auf einer Messrolle.
Was hat nun der Spediteur davon? Ziemlich viel!
Wir können unseren Kunden sagen, welcher Fernverkehrsreifen aktuell den besten Rollwiderstand hat und somit ihm bares Geld bietet, weil er damit den Kraftstoffverbrauch entscheidend optimieren kann.
Dazu eine Beispielrechnung: Fährt ein 40-t-Sattelzug in Mitteleuropa ca. 150.000 km im Jahr, so kann er mit einem um 30 % rollwiderstandsoptimierten Reifen bis zu 2.000,- EUR im Jahr an Kraftstoff sparen. Das ist eine Menge Geld.
Stellen Sie sich eine größere Flotte von 100 oder mehr LKW vor. Der Spediteur ist ein Glückskind, wenn bei uns kauft und uns fragt, welcher Reifen aktuell den besten Rollwiderstand hat. Wir beraten ihn gerne und freuen uns, wenn sein Geschäft noch erfolgreicher wird. Das ist unser Auftrag und dem widmen wir Chassisentwickler uns jeden Tag.
So, ich hoffe Sie haben nach meinen Zeilen verstanden, warum ein LKW Reifen nicht nur groß, schwarz und rund ist. :-) Für uns ist er mehr. Er ist das Schuhwerk des Autos. Und wie bei Menschen: Wer möchte nicht immer richtig angezogen sein…