Anfang Juni traten Flüsse mit einem Jahrhundert-Hochwasser über die Ufer. Wir starteten in Bitterfeld um in drei Tagen bis nach Stendal/Fischbeck zu kommen, entlang den wild gewordenen Flüssen Mulde, Saale und Elbe. „Wir“ als Team sind der Unimog-Spezialist und Fotograf Henrik Morlock und ich. In meiner Funktion als Pressesprecher Nutzfahrzeuge war ich im Einsatz, um die Technik der eingesetzten Nutzfahrzeuge in einem neutralen Bericht zu beschreiben. Als ehrenamtlicher Pressesprecher des THW OV Stuttgart habe ich meine Bilder (dann natürlich markenübergreifend) der THW-Bundespressestelle zur Verfügung gestellt. Da ich auch erfahrener THW-Helfer bin, packte ich natürlich auch an, wo ich konnte.
Es war der Katastrophenfall ausgerufen, die Eilmeldung besagte, dass sofortige Evakuierung von Bitterfeld angeordnet und die B100 für den Autoverkehr gesperrt wurde. Nervös fuhren wir am Freitag morgen über die gesperrte Strasse Richtung Bitterfeld. Der Ortsbeginn war durch Polizei abgesperrt, doch unsere Papiere stimmten erwartungsgemäß, also konnten wir in das Sperrgebiet einfahren. Beim Krisenstab informierten wir uns beim THW und der Bundeswehr über die Lage.
Bei Bitterfeld drückte das Hochwasser der Mulde in zwei ehemalige Tagebau-Seen. Brechen dort die Dämme, läuft die Goitzsche schlagartig über – und das tiefer gelegene Bitterfeld läuft wie nach einem Tsunami voll. Das THW pumpt über 110.000 Liter pro Minute in die Mulde zurück. Da die Deiche zwischen den Seen zur Überprüfung nur durch Boote erreicht werden konnten, stand ein THW-Actros mit Bootsanhänger bereit. Schwere CH-53-Helikopter nehmen Big-Bags auf, um die schwächelnden Dämme zwischen den Tagebau-Seen zu stabilisieren.
Wir beeilten uns nach Bernburg zu kommen. In Bernburg rauscht die Saale gegen die mittelalterliche Schutzmauer, die durch das Hochwasser sehr belastet wird. Die Altstadt ist überflutet und das THW hat Stege für die Bevölkerung aufgestellt. In der Altstadt steht ein Unimog im Wasser um ein älteres Ehepaar zu evakuieren. Eine energische Rot-Kreuz-Schwester benötigt Rollstühle. Wir fahren mit dem Geländewagen zurück ins Trockene und warten auf die Rollstühle. Mit Blaulicht kommt ein Krankenwagen und bringt diese. Mit Krankenschwester und Rollstühlen im Geländewagen zurück in die überflutete Altstadt zum Unimog. Das Ehepaar wird zur Unimog-Ladefläche getragen, der fährt sie zurück ins Trockene zum wartenden Krankenwagen. Ein kleines Mädchen verteilt Kekse an die Feuerwehrleute.
Weiter Richtung Calbe. Ortsteile sind durch Hochwasser von der Außenwelt abgeschlossen, wie die Klosterinsel „Gottesgnaden“. Dort schlossen wir uns einem Bundeswehr-Konvoi an, in Richtung Lödderitz.. Hier ist der Zusammenfluss von Saale und Elbe, ein absolut gefährdeter Bereich, der auch zur Evakuierung der Stadt Aken führte. Der stellvertretende Kommandeur OTL Blume begrüßt uns und zeigt seinen Fuhrpark: Unimogs haben den Vorteil, dass sie wendig und kompakt sind, wenn sie Sandsäcke an die Elbe fahren. Rechts und links des schmalen Weges gurgeln die Wasser der Elbe. Die Soldaten stehen auf der sandsackbewehrten Deichkrone, das Elbewasser ist bei steigendem Pegel gerade nur 20 cm vom Rand entfernt.
Plötzlich neue Order, wir sind das letzte Fahrzeug was noch vorgelassen wurde. Sie hieven ihre Schubkarren zu mir hoch. Plötzlich bin ich in die Kette der Helfer eingebunden. Abbruch der Deichsicherungsarbeiten um 17.15 Uhr. Zurück durch den Wald, dort stehen schwimmfähige Fuchs-Transportpanzer um die Soldaten vom Elbedamm abzuholen.
In Schönebeck, der Abend vor dem Sturm. Die Brücke über die Elbe hat nur noch wenig Luft, von hier sieht man das Café Elbblick, bekannt aus Tagesschau und RTL-News: Terrasse in die Elbe hinausgeschoben, geschützt durch Spundwände, strömt das Wasser in einem Meter Höhe. In der Innenstadt sieht man Feuerwehr-Ategos, die einsturzgefährdete Mietshäuser leerpumpen.
Auf der anderen Elbeseite eilen Blaulichter Richtung Elbenau. Am Horizont fliegen Bundeswehr-Helikopter mit Sandsäcken. Am Stillstand der Fahrzeugkolonne marschieren wir zu Fuß weiter. Feuerwehrleute aus Berlin, Bundeswehrsoldaten, Einheimische laden am Elbedeich bei Pechau, Sandsäcke von Lkw und Unimog auf Schubkarren um.
Über uns donnern Hubschrauber mit Big-Bags hinweg. Henrick fotografiert alle Einsatzfahrzeuge, hier ist das gesamte Spektrum von Nutzfahrzeugen im Einsatz. Ich helfe zwei Soldaten ihren Bundeswehr-Sprinter zu entladen, stapele Trinkwasserflaschen säuberlich an die Leitplanken. Auch als Dokumentator kann man immer wieder helfen. Hier lache ich Stefanie an, sie trägt eine Weste „Krisenintervention“, ihre Aufgabe ist es den Helfern zu helfen. Sie übernimmt von mir neue Ladungen an Sprudelflaschen und gibt sie fließbandschnell an die vorbeieilenden, schubkarrenschiebenden Helfer. So ist die ganze Helferkette fein aufgeteilt.
In Pechau ein wuseliges Bild. Helfer füllen Sandsäcke, andere beladen die vom Deich kommenden leeren Unimog mit Sandsäcken. Etwas abgesetzt klinken Soldaten die Big Bags an die Hubschrauber an. Der Sand stammt aus den Resten eines Beach Volleyball Platzes, der nun am Elbedamm verbaut ist.
Nach 21.00 Uhr. Rasch sind wir in Magdeburg-Cracau, laut Radio auch schon abgesoffen. Keine Herberge hat mehr auf, weil befürchtet wird, daß in der Nacht das Wasser über die Dämme bricht. Die Elbebrücken haben kaum noch Luft unter sich, schwere Baumstämme treiben mit dem Strom. Diese sind sehr gefährlich, weil sie Brücken und Dämme beschädigen und Helfer schwer verletzen können. Auf der Gegenfahrbahn eine endlose Kolonne an THW-Fahrzeugen. Schnelles Wenden und an Konvoi ranheften. Der Konvoi stoppt beim Einkaufszentrum Börde.Ein guter Platz, hier gibt es Bäckereien und Toiletten. Tausend Meter weiter auf dem Magdeburger Flugplatz stehen die Fahrzeuge und Hubschrauber von 5000 Bundeswehrkräften. Es ist es stockdunkel geworden, aber die THW-Kräfte kommen trotz der langen Fahrt noch immer nicht zur Ruhe. Einige müssen gleich zu Einsätzen und werden bis zum Morgen für 24 Stunden nicht geschlafen haben.
Samstagsmorgen Info bei der THW-Einsatzleitung: THW-Kräfte sichern Ölhafen. Vor Ort allgemeine Erheiterung, weil THW-Räumgerät vor einem Werbeplakat hält – „Raus aus dem Alltag à Rein ins THW“. Fröhliche Menschen beim Sandsacktragen. Das Plakat wurde bestimmt vorher gebucht.
Neuralgischer Punkt ist die Elbeinsel Werder. Vollständig mit Sandsäcken umzogen, aus denen Wasser quillt. Die Zollstrasse mit schönen Villen steht schon unter Wasser. Mercedes-Feuerwehren aus Schwielowsee sorgen dafür, daß das Wasser nicht höher steigt. Auf der anderen Seite der Insel bilden Helfer des DLRG-Baden-Württemberg eine Sandsackkette – gekleidet in Neopren-Anzügen und vollständig im Wasser.
Über Pechau und Schönbeck`s gesperrte Strassen kommen wir auf der anderen Elbe-Seite in den Stadtteil Buckau, der am Donnerstag schon von der Feuerwehr aufgegeben wurde, d.h. hier müssen die eingeschlossenen Bewohner alleine sehen, was die Elbe mit ihnen macht.
im Stadtteil Rothensee drohte das Strom-Umspannwerk abzusaufen. Es versorgt Magdeburg mit Strom. Bei Ausfall könnte man weder Keller mehr auspumpen, noch die Magdeburger Kläranlage betreiben. 2000 Bundeswehr-Soldaten und THW-Helder sind im Einsatz. In Rothensee sind neben dem Güterhafen zahlreiche Industrieanlagen und Tanklager. 23000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Das Gebäude liegt rund drei Meter unter dem August-Bebel-Damm. Gewaltige Wassermassen strömten nach Rothensee und die Umspannanlage. Das Dorf war bald zwei Meter unter Wasser, die Umspannanlage durch die Sandsackdämme und THW-Pumpen gerettet. Hier war eine hohe Einsatzdichte von Mercedes-Benz- und anderen Nutzfahrzeugmarken zu sehen. Vom Canter über Unimog bis zu einem Actros-Sattelzug der durch den immer höher steigenden Wasserstrom die Sandsäcke direkt zu den Bundeswehr-Soldaten fuhr.
Vor einem Citan der Mercedes-Benz-Niederlassung-Magdeburg, standen zwei Leute und grillten Unmengen von Würsten für die Hilfskräfte. Die Direktorin der Mercedes-Benz Niederlassung-Magdeburg, Astrid Stolze berichtete vom Einsatz eines Zetros bis zu schweren Actros-Abschleppfahrzeugen die Feuerwehrfahrzeuge evakuierten.
Sonntags wollten wir die aktuell beschafften Unimog des Mecklenburg-Vorpommerischen Katastrophenschutzes inspizieren, die zum ersten Mal zeigten, was sie können. Bei Beutzenburg diente er als Zugmaschine für den Generator.
Über Tangersmünde geht es nach Fischbeck, wo ein Deich eintürzte (aktuell die drei gesprengten Lastkähne). Unweit davon liegt Jerichow mit einer der ältesten Backsteinkirchen. Dort war das THW-OV Balve eingesetzt. Die Helfer, tief im Wasser stehend, gaben alles, um mit einem Sandsackdamm den Ort vor dem Überfluten zu schützen. Der Blick hinaus auf die Elbe erinnerte eher an ein Meer.
Von Jerichow entlang der Elbe kamen wir nach Lostau. Hier war ein ungeheurer Kampf der Einwohner und vieler Helfer gegen die Elbeflut. Hier konnten wir das Logistigsystem erkennen. Der erste Part in der Sandsacklogistik ist die Anfuhr des Sandes mit handelsüblichen Kippern, z.B. mit einem neuen Actros oder mit Actros MP-3 Absetzkipper. Kommunale Allrad-Lkw, hier ein Axor, liefern die Sandsäcke an den Notdamm bzw. Bauunternehmen mit Actros MP-3 an den fast überlaufenden Elbedeich bei Lostau. Es ging um Minuten, in Lostau war der tiefergelegene Teil des Dorfes schon verloren.
Wir mussten heim. In Magdeburg war gerade das Stuttgarter THW mit dem schweren Räumgerät angekommen. In Thüringen Unwetter und Starkregen. Auf der A 9 fährt das DRK-Winterbach. Vielleicht auch Daimler-Kollegen.